Trompe-l'Oeil mit Kupferstich der Heiligen Familie bei der Ruhe auf der Flucht



Trompe-l'Oeil mit Kupferstich der Heiligen Familie bei der Ruhe auf der Flucht


Inventar Nr.: GK 727 (1875/786)
Bezeichnung: Trompe-l'Oeil mit Kupferstich der Heiligen Familie bei der Ruhe auf der Flucht
Künstler: Christian Daniel Frahm (vor 1749 - 1778), Maler/in
Datierung: nach 1749
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Leinwand
Maße: 18 x 26 cm (Bildmaß)
Provenienz:

erworben vor 1749

1863 Schloss Bellevue

1877 Neue Gemäldegalerie

Beschriftungen:


Katalogtext:
Das kleine Leinwandgemälde zeigt eine der beliebtesten Augentäuschungen: Eine an der Wand befestigte Druckgraphik. Mit vier roten Wachssiegeln ist das Blatt scheinbar an eine Holzwand geklebt. Die Graphik, ein Kupferstich des französischen Stechers Michel Dorigny nach einem Werk von Simon Vouet, zeigt die Heilige Familie bei der Ruhe auf der Flucht. An den Ecken ist das Blatt nach vorne geknickt, wodurch der Effekt der Illusion einer tatsächlichen Graphik erhöht wird. Jedoch hat der Künstler nicht einfach den Kupferstich Dorignys kopiert, sondern zum einen den Bildausschnitt oben und unten sowie am linken Rand reduziert, wodurch auch der gesamte Text wegfällt. Zum anderen ist die Graphik insgesamt verkleinert und dem Maßstab des Gemäldes angepasst. Die Illusion einer tatsächlichen Graphik tritt damit hinter den Gedanken eines kleinen gemalten Kabinettstücks zurück.

Das „F“ auf den roten Wachssiegeln könnte verschiedene Erklärungen haben. Einerseits mag es eine Art Künstlermonogramm sein und auf den Urheber des Werkes, Christian Daniel Frahm, verweisen. Andererseits könnte es sich aber auch um einen Hinweis auf eine berühmte Anekdote der Augentäuschung handeln, die Joachim von Sandrart in seiner „Teutschen Akademie“ von 1675 berichtet. 1651 hatte Graf Johann Ludwig von Nassau-Hadamar Kaiser Ferdinand III. zwei Gemälde des Stilllebenmalers Sebastian Stoßkopff (Lehrmeister von Sandrart) überreicht, als Dank für die verliehene erbliche Reichsfürstenwürde. Eines davon war das „Trompe-l’œil mit Kupferstich der Galatea“, das ebenfalls einen Kupferstich Dorignys nach Vouet zeigt. Sandrart zufolge war es „scheinend, ob wäre es auf Papier und mit Wachs auf eine Staffel befestigt, so vernünftig, daß Ihre Kayserl. Majest. Ferdinandus der Dritte, als deroselben ichs unterthänigst vorgehalten, mit der Hand das gemahlte Kupferstuck abnehmen wollte, biß endlichen selbst über dem Kunstreichen Betrug gelachet und das Werk sehr gerühmet, anfolglich dero Kunst-Galleria in Prag einverleiben laßen.“ In diesem Sinn würde das „F“ auf Kaiser Ferdinand verweisen.

Stoßkopff war der erste Künstler, der sich in einem Gemälde allein auf die Wiedergabe einer Druckgraphik konzentrierte. Er leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Trompe-l’Œil-Malerei, der reiche Nachfolge erfuhr. Über den bloßen Illusionismus einer gemalten Graphik an einer Wand hinaus bildet diese Art der Augentäuschung einen ironischen Beitrag zum Wettstreit der Künste. Indem die Malerei nicht nur das Thema einer Graphik, sondern auch deren Materialität imitiert, stellt sie sich über die graphische Kunst. Die Täuschung des Betrachters, der dem Beispiel Kaiser Ferdinands III. folgend die Graphik anfassen möchte, spitzt diesen Wettstreit pointiert zu.

Über den Künstler Frahm ist bislang kaum etwas bekannt. Er stammte aus Wismar und war seit 1776 Schüler der Kasseler Maler- und Bildhauerakademie. Den Archivnotizen Friedrich Noacks in der Bibliotheca Hertziana in Rom zufolge wurde Frahm, der als dänischer Maler bezeichnet wird und sich als Pensionär von Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel in der Ewigen Stadt aufhielt, im Oktober 1778 Opfer einer Messerstecherei mit dem ungarischen Philosophiestudenten Ignaz Ker. Das Kasseler Gemälde ist das einzige bekannte Werk des Künstlers.
(J. Lange, 2015)


Inventare:
  • Catalogue des Tablaux. Kassel 1749, S. 48, Nr. 487.
Literatur:
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Verzeichniß der Kurfürstlichen Gemählde-Sammlung. Cassel 1830, S. 179, Kat.Nr. 1134.
  • Auszug aus dem Verzeichnisse der Kurfürstlichen Gemälde-Sammlung. Kassel 1845, S. 86, Kat.Nr. 1134.
  • Parthey, Gustav: Deutscher Bildersaal. Verzeichnis der in Deutschland vorhandenen Ölbilder verstorbener Maler aller Schulen. Berlin 1863/64, S. 445 (Bd. 1), Kat.Nr. 1.
  • Aubel, Carl: Verzeichnis der in dem Lokale der Neuen Gemälde-Gallerie zu Cassel befindlichen Bilder. Kassel 1877, S. 79, Kat.Nr. 921.
  • Eisenmann, Oscar: Katalog der Königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. Nachtrag von C. A. von Drach. Kassel 1888, S. 391, Kat.Nr. 689.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 24, Kat.Nr. 727.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 28, Kat.Nr. 727.
  • Bénézit, Emmanuel: Dictionnaire critique et documentaire des Peintres, Sculpteurs, Dessinateurs et Graveurs. Paris 1948ff, S. 475 (Bd. 4, 1976).
  • Heraeus, Stefanie [Bearb.]; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: Spätbarock und Klassizismus. Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel [u.a.] 2003, S. 53, Kat.Nr. 35.
  • Lange, Justus; Carrasco, Julia: Kunst und Illusion. Das Spiel mit dem Betrachter. Petersberg 2016, S. 36, Kat.Nr. 4.


Letzte Aktualisierung: 27.11.2018



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