Die Heilige Familie mit dem Vorhang



Die Heilige Familie mit dem Vorhang


Inventar Nr.: GK 240
Bezeichnung: Die Heilige Familie mit dem Vorhang
Künstler: Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606 - 1669), Maler/in
Datierung: 1646
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Öl
Maße: 46,8 x 68,4 cm (Bildmaß)
71 x 92,5 x 8 cm (Rahmenmaß)
Provenienz:

erworben 1752 von W. Lormier, Den Haag, durch Wilhelm VIII.

Beschriftungen: Signatur: Rembrandt. ft. / 1646


Katalogtext:
Ein bescheidener, spärlich beleuchteter Innenraum ist Schauplatz einer häuslichen Familienszene: Links vorne sitzt vor einer Bettstatt eine Mutter in inniger Umarmung des Kleinkindes auf ihrem Schoß, dessen Wiege daneben am Boden steht. Sie schaut hinab auf die kärgliche Feuerstätte in der Mitte des Raumes, neben der eine Katze kauert und eine irdene Schale steht. Weiter rechts öffnet sich die Aussicht ins Freie, wo man den Familienvater beim Holzhacken erblickt. Diese genrehafte Szene schlichter, familiärer Behaglichkeit wurde erst im Laufe des 19. Jahrhunderts als Darstellung der Heiligen Familie erkannt. Die Einkleidung des Heilsgeschehens im Gewand des Alltäglichen ist typisch für die niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts und insbesondere für Rembrandt, der diesen Ansatz bereits in früheren Fassungen des Themas erprobte. Der zeitgenössische Charakter regte an, die Bildbotschaft für das eigene Dasein zu vergegenwärtigen.
Bemerkenswert an Rembrandts Gemälde ist jedoch vor allem die Tatsache, dass die eigentliche Bildszene von einem gemalten Rahmen eingefasst wird, vor dem wiederum ein ebenfalls gemalter, das rechte Drittel der Raumdarstellung bedeckender roter Vorhang hängt. Eine getreue Nachzeichnung im Ashmolean Museum in Oxford gibt Aufschluss über den ursprünglich rundbogigen oberen Abschluss des beschnittenen Gemäldes. Die Tafel gibt somit vor, ein gerahmtes Gemälde zu sein, dessen Darstellung mittels des zurückgeschlagenen Vorhangs für den Betrachter enthüllt wurde. Die Figurenszene selbst wird dabei zum Bild im Bild mit bühnenraumartigem Charakter.
Wenngleich die niederländische Malerei um 1640 bis 1650 den gemalten Vorhang bereits in unterschiedlichen Genres kennt, ist Rembrandt derjenige, der dieses Motiv mit dem des gemalten – im eigenen Œuvre singulären – Rahmens verbindet und in der Folge popularisiert. Der sog. Ädikularahmen des Kasseler Bildes mit seinen eher unzeitgemäßen Renaissanceformen taucht ebenfalls auf zwei späteren zeichnerischen Rahmenentwürfen des Künstlers auf.
Der Reiz und die Irritation des Gemäldes liegen in der Durchdringung der eigentlich getrennten Sphären von Bilddarstellung und -rahmung, die hier beide durch dieselben Lichtquellen in- und außerhalb des Bildes erhellt werden. Ob der Betrachter Rahmen und Vorhang als gemalte oder reale Objekte erkennen soll, bleibt jedoch uneindeutig. Sicher aber dürfte die ursprüngliche Präsentation ohne externen Rahmen gewesen sein.
Der Vorhang selbst lässt als Scharnier zwischen Bild- und Betrachterebene verschiedene Deutungen zu: Zum einen reflektiert er die in niederländischen Sammlungen auch bildlich belegte Verhüllung von Gemälden, die vor allem der Steigerung des Reizes und der Kostbarkeit der Werke diente – womöglich war Rembrandts Bild für einen solchen Kontext vorgesehen. Zum anderen ist mit dem Motiv ein populärer Künstlertopos angesprochen, demzufolge der antike Maler Parrhasius seinen Konkurrenten Zeuxis mit einem gemalten Vorhang täuschte und als bester Maler besiegte. Der Vorhang illustriert die künstlerischen und illusionistischen Qualitäten von Rembrandts Kunst, dessen Signatur er zudem enthüllt, im Sinne eines Trompe-l´Œils. Gleichwohl wird dessen Verblüffungspotenzial im malerischen Duktus des Bildes, das hierin „vor allem zur Schau stellt, dass es ganz und gar Malerei ist“, bewusst nicht ausgereizt. Schließlich fungiert der Vorhang als visueller und farblicher Störfaktor, der die Aufmerksamkeit für die dahinter liegende Szene schärft und deren intimen Charakter, durch das Bewusstsein ihrer Enthüllung, für den Betrachter verstärkt.
(J. Carrasco, 2015)


Inventare:
  • Catalogue des Tablaux. Kassel 1749, S. 64, Nr. 727.
Literatur:
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  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Versuch eines Verzeichnisses der kurfürstlich hessischen Gemälde-Sammlung. Kassel 1819, S. 52, Kat.Nr. 320.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Verzeichniß der Kurfürstlichen Gemählde-Sammlung. Cassel 1830, S. 60, Kat.Nr. 366.
  • Auszug aus dem Verzeichnisse der Kurfürstlichen Gemälde-Sammlung. Kassel 1845, S. 39, Kat.Nr. 366.
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  • Voll, Karl: Die Meisterwerke der königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. München 1904.
  • Neumann, Carl: Rembrandt. 2 Bde. 2. Aufl. Berlin/Stuttgart 1905, S. 287.
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  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 62, Kat.Nr. 240.
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  • Slive, Seymour: Rembrandt and his critics 1630-1730. Den Haag 1953, S. 131.
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  • Gribben, Crawford / Murdock, Graeme (ed.): Cultures of Calvinism in Early Modern Europe. Oxford 2019, S. 147148.
  • Rehm, Stefanie: Tischbein und die Kunst des "Goldenen Zeitlaters". Rezeptionsgeschichte(n) um 1800. Heidelberg 2020, S. 187-188.


Letzte Aktualisierung: 31.07.2023



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