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Meister an der Staffelei



Meister an der Staffelei


Inventar Nr.: GK 641 (1875/657)
Bezeichnung: Meister an der Staffelei
Künstler: Justus Juncker (1703 - 1767), Maler/in
Dargestellt: unbekannt
Datierung: 1752
Geogr. Bezug: Frankfurt am Main
Material / Technik: Eichenholz
Maße: 48 x 36,8 cm (Bildmaß)
Provenienz:

erworben vor 1774

1783 u. 1805 Residenzschloss

1807-1815 Musée Napoléon, Paris

1830 Schloss Wilhelmshöhe

1863 Schloss Bellevue

1877 Neue Gemäldegalerie

Beschriftungen: Signatur: bez. Mitte l. (auf einer Lage Zeichenpapier): Juncker fe. 1752


Katalogtext:
In einem stattlichen Innenraum, in dem an den Wänden zahlreiche Gemälde in mehreren Reihen übereinander hängen, hat Juncker sich mit Palette und Pinseln in der Hand vor der Staffelei wiedergegeben. Den Kopf zur Seite gewandt, haftet sein prüfender Blick auf dem Blatt eines Schülers, der mit einem Rötelstift einen Akt zeichnet. Als Modell dient eine kleine Gipsnachbildung des so genannten Antinous aus dem Belvedere-Hof des Vatikan in Rom, der neben einigen Folianten, Zeichenpapier, Zirkel und Lineal auf dem Tisch postiert ist. Das Zeichnen nach Stichvorlagen oder Gipsnachbildungen bewunderter klassischer Vorbilder war ein bedeutender Teil der akademischen Ausbildung, die Juncker hier seinem Schüler vermittelt.
Zur Entstehungszeit des Gemäldes gehörte Juncker zu den angesehensten Malern in Frankfurt am Main. Im Unterschied zu dem etwa gleichzeitig entstandenen »Selbstbildnis an der Staffelei, mit einem Schüler im Hintergrund« (Privatbesitz), in dem er sich in einem eleganten Seidenmantel mit kostbarem Pelzbesatz in Szene setzt und auf seinen materiellen Erfolg verweist, formuliert er hier programmatisch seine Rolle als Künstler. Mit dem braunen Hausrock und der schlichten, grünen Mütze zeigt er sich in der für Maler üblichen Arbeitskleidung. Damit setzt er sich von seinem Schüler ab, der mit einem eleganten blauen Rock bekleidet ist und eine zum Zopf gebundene, gepuderte Perücke trägt. Die verschiedenen Kopfbedeckungen sind, ebenso wie die Kleidung von Lehrer und Schüler, Ausdruck ihres unterschiedlichen gesellschaftlichen Status. Als gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Perücke zum Bestandteil der offiziellen repräsentativen Kleidung wurde, zogen es viele Maler vor, Mütze oder Turban als Zeichen künstlerischen Schaffens beizubehalten.
Darüber hinaus kann man in der Gegenüberstellung von malendem Lehrer und zeichnendem Schüler eine Anspielung auf die zeitgenössische Kunsttheorie sehen, in der man diskutierte, ob die Malerei oder die Zeichnung den künstlerischen Vorrang hätte. Die in etwa auf derselben Höhe angeordneten Arbeitsutensilien, zum einen die Palette mit den Pinseln und der Staffelei im Hintergrund, zum anderen der Rötelstift und das Blatt Papier, lassen sich so auch als Sinnbild für »pittura« und »disegno« verstehen.
Die repräsentative Stube, in der Juncker die Szene wiedergibt, taucht auch in anderen Gemälden von ihm auf, so bei dem »Besuch im Atelier des Malers« von 1754 (Frankfurt/Main, Goethe-Museum, Inv. Nr. IV-1996-3), das in der Raumanordnung ähnlich ist. Die an den Wänden wie in einem Lehrkabinett angeordneten Gemälde – darunter Historien, Porträts und Landschaften – stellen den Maler als kenntnisreichen Bildersammler vor. Juncker gibt sich in der Rolle des gelehrten Künstlers, des »pictor doctus«, der sich vom Handwerker unterscheidet. Dieses Selbstverständnis war Mitte des 18. Jahrhunderts, als zahlreiche Akademien gegründet wurden, zwar verbreitet, in Frankfurt aber gab es keine Akademie: Die Maler waren als Teil des Handwerkerstandes noch traditionell in einer Zunft organisiert. Wenige Monate vor seinem Tod im April 1767 sollte Juncker zusammen mit acht anderen Frankfurter Malern, darunter Schüz, Hirt, Bager und Kraus, dem Rat der Stadt ein Gesuch vorlegen, aus der Zunftorganisation entlassen zu werden, um eine eigene Zeichen- und Malschule mit akademischer Ausbildung gründen zu können. Das gewachsene Selbstbewusstsein des Künstlers, der nicht mehr in eine handwerklich orientierte Zunft eingebunden sein wollte, ist in diesem Selbstbildnis explizit formuliert.
Nicht nur mit der Rolle des »pictor doctus«, auch mit dem Typus des so genannten Atelierbildnisses, der Ansicht eines Malerateliers mit Selbstporträt, berief sich Juncker auf die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Auch im gedämpften Kolorit, in der glatten Malweise, im Bildaufbau und in der Wahl des Bildträgers Holz lassen sich Parallelen zu holländischen Vorbildern erkennen. Ähnlich komponiert ist die um 1665 entstandene »Zeichenstunde« von Jan Steen (Maastricht, Privatsammlung): das durch das Fenster von links einfallende Tageslicht, die auf einem Tisch angeordneten Zeichenutensilien und der sich über den Schüler beugende Meister mit Palette und Pinseln in der Hand. Holländische Atelierszenen und Darstellungen von Studierzimmern kannte Juncker aus den privaten bürgerlichen Gemäldesammlungen in Frankfurt, insbesondere aus dem Kabinett des Barons Häckel, in denen Werke von Jan Steen vertreten waren. Wie für holländische Interieurbilder typisch, so eröffnen auch hier Durchgänge Einblick in weitere Räume im Hintergrund, wo ein Gehilfe des Meisters mit dem Reiben von Farben beschäftigt ist.
Auch wenn sich der erste schriftliche Nachweis von Junckers Gemälde erst in Causids Sammlungskatalog von 1783 findet, darf man annehmen, dass es zumindest schon im Jahr 1774 in landgräflichem Besitz war. Ein Familienbildnis von Johann Heinrich Tischbein d. Ä. aus dem Jahr 1774 (Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum) ist in der Raumanordnung und Lichtführung dem »Meister an der Staffelei« derartig verwandt, dass der Hofmaler das Bild vermutlich kannte. Junckers Schüler Johann Daniel Bager (1734-1815) hat sich ebenfalls an dem Gemälde orientiert, als er 1767 den »Künstler am Fenster« malte (Frankfurt/Main, Goethe-Museum, Inv. Nr. IV-1997-3).
(S. Heraeus, 2003)


Literatur:
  • Causid, Simon: Verzeichnis der Hochfürstlich-Heßischen Gemälde-Sammlung in Cassel. Kassel 1783, S. 233, Kat.Nr. 130.
  • Apell, David von: Cassel in historisch-topographischer Hinsicht. Nebst einer Geschichte und Beschreibung von Wilhelmshöhe und seinen Anlagen. Marburg 1805, S. 120 (Teil1).
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Versuch eines Verzeichnisses der kurfürstlich hessischen Gemälde-Sammlung. Kassel 1819, S. 114, Kat.Nr. 700.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Verzeichniß der Kurfürstlichen Gemählde-Sammlung. Cassel 1830, S. 135, Kat.Nr. 820.
  • Auszug aus dem Verzeichnisse der Kurfürstlichen Gemälde-Sammlung. Kassel 1845, S. 78, Kat.Nr. 820.
  • Gwinner, Philipp Friedrich: Kunst und Künstler in Frankfurt am Main. Vom dreizehnten Jahrhundert bis zur Eröffnung des Städelschen Kunstinstituts. Frankfurt am Main 1862, S. 282.
  • Parthey, Gustav: Deutscher Bildersaal. Verzeichnis der in Deutschland vorhandenen Ölbilder verstorbener Maler aller Schulen. Berlin 1863/64, S. 648 (Bd. 1), Kat.Nr. 3.
  • Eisenmann, Oscar: Katalog der Königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. Nachtrag von C. A. von Drach. Kassel 1888, S. 362, Kat.Nr. 606.
  • Voll, Karl: Die Meisterwerke der königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. München 1904, S. 75.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 34, Kat.Nr. 641.
  • Jahrhundertausstellung deutscher Kunst 1650-1800. Darmstadt 1914, S. 292, Kat.Nr. 87.
  • Biermann, Georg: Deutsches Barock und Rokoko. Leipzig 1914, S. 235 (Bd.1), LXIX (Bd. 2).
  • Schauer, Kurt: Malerei der Goethezeit. Leipzig/Berlin 1927.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 40, Kat.Nr. 641.
  • Feulner, Adolf: Der junge Goethe und die Frankfurter Kunst. Frankfurt a. M. 1932, S. 45, 48.
  • Hamann, Richard: Geschichte der Kunst. Von der antichristlichen Zeit bis zur Gegenwart. Berlin 1933, S. 725.
  • Vom Rokoko zur Romantik. Kassel 1946, S. 9, Kat.Nr. 62.
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, S. 80, Kat.Nr. 641.
  • Bushart, Bruno: Deutsche Malerei des Rokoko. Königstein i. T. 1967, S. 23, 27.
  • Maler und Modell. Baden-Baden 1969, Kat.Nr. 68.
  • Hoff, Ursula: Goethe and the Dutch Interior. A Study in the Imagery of Romanticism. Sidney 1972, S. 7.
  • Frankfurter Malerei zur Zeit des jungen Goethe. Frankfurt a. M. 1982, S. 25-36, 51, Kat.Nr. 4.
  • Raupp, Hans-Joachim: Selbstbildnisse und Künstlerporträts von Lucas von Leyden bis Anton Raphael Mengs. Braunschweig 1987, S. 13.
  • Marianne Heinz [Bearb.]; Erich Herzog [Bearb.+ Hrsg.]: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722 - 1789), Kassel trifft sich - Kassel erinnert sich in der Stadtsparkasse Kassel. Kassel 1989, S. 148.
  • Große und kleine Meister im Deutschland des 18. Jahrhunderts. München 1994.
  • Heraeus, Stefanie; Tipton, Susanne: Künstlerbildnisse. Porträts von Tischbein bis Beuys. Malerei, Graphik und Skulptur aus eigenen Beständen. Kassel 1996, S. 29-30, Kat.Nr. 1.
  • Schloss Wilhelmshöhe Kassel. Antikensammlung, Gemäldegalerie Alte Meister, Graphische Sammlung. München/London/New York 2000, S. 105.
  • Heraeus, Stefanie [Bearb.]; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: Spätbarock und Klassizismus. Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel [u.a.] 2003, S. 92-94, Kat.Nr. 71.


Letzte Aktualisierung: 11.11.2020



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