Maskenball



Maskenball


Inventar Nr.: GK 791a
Bezeichnung: Maskenball
Künstler: Johann Heinrich d. Ä. Tischbein (1722 - 1789), Maler/in
Datierung:
Geogr. Bezug: Kassel
Material / Technik: Leinwand
Maße: 200 x 168 cm (Bildmaß)
Provenienz:

erworben um 1904 von Sophie Tresckow, Kassel

Familie von Osterhausen, Nachfahren von Tischbein d. Ä.

1790 in Tischbeins Wohnhaus in Kassel


Katalogtext:
Durch den Rahmen eines großen Fensters, das beidseitig mit grauen Marmorpfeilern und einer dunkelgrünen Schabracke eingefasst ist, nimmt der Betrachter an einem der wöchentlich stattfindenden Maskenfeste des Kasseler Hofes teil. Der Blick fällt in ein mit Marmorsäulen, Pilastern und Rundbogennischen grau-rot gegliedertes Foyer, in dem zahlreiche kostümierte Personen dicht gedrängt stehen. Im Vordergrund haben sich vier Personen um einen Spieltisch zum »Pharao« versammelt, das »vornehmste und beliebteste«, aber auch »verrufenste aller Hazardspiele« (Anton 1884, S. 369).
Nach der mündlichen Überlieferung der Vorbesitzer des Gemäldes – Nachfahren der Familie Tischbein – handelt es sich bei dem älteren Herrn mit Allongeperücke um den Kirchditmolder Pfarrer Kunze. Er ist im Spiel der »Banquier«, der als einziger unmaskiert, in standesgemäßer Robe und mit Perücke zu erscheinen hatte. Daneben sollen ein Kammerdiener des Landgrafen und die Tänzerin Broschi dargestellt sein. Ersterer, der mit einem grün-roten Turban als Orientale verkleidet ist, steht – die rechte Hand auf den Spieltisch aufgestützt – in strengem Profil nach rechts, so dass seine Maske mit der markanten Nase, den buschigen Augenbrauen und dem schwarzen Schnurrbart besonders gut zur Geltung kommt. Die Tänzerin Broschi in hellblauer, spitzenbesetzter Seidenrobe hat ihre schwarze Maske hingegen abgenommen und hält sie in der linken Hand, während die rechte die Spielkarten umfasst. Die Knickungen der vor ihr liegenden Herzkarte geben ihre Einsatzhöhe an. Der vierte Spieler – auch »Pointeur« genannt – ist ein Herr in einem weiten roten Cape mit einem schwarzen kurzen Spitzenumhang, Kapuze und Dreispitz, der nur als Rückenfigur am linken Bildrand auszumachen ist, in dessen Kartenblatt man aber Einblick hat.
Ihm gegenüber, am rechten Bildrand, besonders hervorgehoben durch den roten Rock mit goldener Bordierung, steht der Sänger Morelli. Anders als die übrigen Figuren richtet er den Blick auf den Betrachter. Die linke Hand mit dem Dreispitz unterm Arm stützt er auf die eiserne Brüstung, in der rechten hält er ein paar Notenblätter. Der aus Siena stammende Kammer- und Opernsänger Giuseppe Morelli (geb. 1736), den Johann Christian Ruhl oder dessen Sohn Ludwig Sigismund als Siebzigjährigen in einer Karikatur festgehalten haben (MHK, Graphische Sammlung, Inv. Nr. GS 12749), war Alt-Kastrat der italienischen Hofoper in Kassel unter der Leitung Ignatio Fiorillos. Tischbeins Schwiegersohn David von Apell hat ihn in seiner »Gallerie der vorzüglichsten Tonkünstler« mit einigen Sätzen charakterisiert: »Man kann nicht sagen, daß er je ein großer Künstler, wenigstens im Bravour-Gesang gewesen sei, aber seine natürliche schöne Stimme [...] machten ihn zu einem sehr angenehmen und beliebten Sänger. Er war dabei von schöner Bildung, ein guter Gesellschafter und wußte sich geltend zumachen. Bei dem höchstseeligen Landgraf Friedrich stand er sehr in Gnaden [...]« (Apell 1806, S. 45).
Das lebensgroße Gemälde, das Elemente aus Repräsentations- und Genrebild verbindet, stammt aus dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Wohnhaus des Malers in der Kasseler Bellevuestraße. Dort war es zusammen mit dem Porträt der beiden Töchter in türkischem Kostüm (Frankfurt/Main, Goethe-Museum, Inv. Nr. IV-1959-13) und dem verbrannten Familienbildnis mit Tischbeins Töchtern und Schwiegersöhnen in die Wanddekoration eingelassen. Die Anordnung der drei Gemälde mit der »Maskenszene« in der Mitte hat Tischbein in einer Zeichnung skizziert (Privatbesitz). Sie zeigt, ebenso wie eine separate Entwurfszeichnung aus dem Hessischen Landesmuseum in Darmstadt (Inv. Nr. HZ 402), dass Tischbein die »Maskenszene« zunächst anders konzipiert hatte: In den Skizzen sind die Personen im Vordergrund nicht zum Pharaospiel versammelt, sondern stehen zur Rechten Morellis an der Brüstung und musizieren. Auch ist der Saal, zu dem zwei Gestalten in venezianischer Maske am linken Blattrand überleiten, schmaler. Mit den Pharao-Spielern griff Tischbein auf ein früheres Gemälde zurück, auf die »Maskenszene mit Kartenspielern und einem Selbstbildnis« (Privatbesitz), die er 1751 in Venedig gemalt hatte, wo das gefährliche Glücksspiel besonders zur Faschingszeit leidenschaftlich betrieben wurde. Dort tauchen bereits, in ganz ähnlicher Körperhaltung wie hier, die vier Spieler auf, insbesondere der »Banquier« ist gut vergleichbar.
Der thematische Zusammenhang der Wanddekoration mit der »Maskenszene« im Zentrum, flankiert von den beiden Familienbildnissen, ist als ein »programmatisches Arrangement« gedeutet worden, »in dem Öffentliches mit Privatem verbunden wird« (Wörner-Heil 2000, S. 241). Unter Landgraf Friedrich II. fand jeden Dienstag der »Große Maskenball« in der Orangerie statt, und während der Faschingszeit ein »öffentlicher Maskenball« im großen Opernhaus, dem umgebauten Palais des Prinzen Maximilian. Der Frankfurter Kammerherr Friedrich Justus von Günderode berichtet in den »Briefen eines Reisenden über den gegenwärtigen Zustand von Cassel« von diesem Maskenball, bei dem der Tanz und das Pharaospiel zu den Hauptattraktionen gehörten: »Die meisten Masken sammeln sich um zehn Uhr, und nach ein Uhr fangen sie an, sich nach und nach zu verlieren, doch dauert Tanz und Spiel bis morgens vier Uhr, und wohl noch länger. Bei dem großen Eingang dieses Saals ist eine beträchtliche Pharao-Bank, wobei der geringste Satz Caroline [Geldeinheit] ist« (Günderode 1781, S. 199f.).
(S. Heraeus, 2003)


Literatur:
  • Günderode, Friedrich Justus von: Briefe eines Reisenden über den gegenwärtigen Zustand von Cassel mit aller Freiheit geschildert. Frankfurt a. M./Leipzig 1781, S. 198-201.
  • Apell, David von: Gallerie der vorzüglichsten Tonkünstler und merkwürdigsten Musik-Dilettanten in Cassel. Kassel 1806, S. 44.
  • Thieme, U. [Hrsg.]; Becker, F. [Hrsg.]; Vollmer, H. [Hrsg.]: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Leipzig 1907-1950, S. 210 (Bd. 33, 1939).
  • Bahlmann, Hermann: Johann Heinrich Tischbein. Straßburg 1911, S. 40, 77, Kat.Nr. 5.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 71, Kat.Nr. 719a.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 82, Kat.Nr. 719a.
  • Luthmer, Kurt: Die hessische Malerfamilie Tischbein. Verzeichnis ihrer Mitglieder und einer Auswahl ihrer Werke. Kassel 1934, S. 17, Kat.Nr. 37.
  • Vogel, Hans: Handzeichnungen Johann Heinrich Tischbeins d. Ä. in Justischem Familienbesitz. In: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz (1963), S. 285-292, S. 287-289.
  • Herzog, Erich [Bearb.]: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. 1722-1789. Kassel 1964, S. 13, 20, Kat.Nr. 47, 125.
  • Kunsträume. Die Länder zu Gast bei der Nationalgalerie Berlin. Berlin 1987, S. 62, Kat.Nr. 2.
  • Marianne Heinz [Bearb.]; Erich Herzog [Bearb.+ Hrsg.]: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722 - 1789), Kassel trifft sich - Kassel erinnert sich in der Stadtsparkasse Kassel. Kassel 1989, S. 166, Kat.Nr. 30.
  • Pavanello, Giuseppe: Johann Heinrich Tischbein, un pittore tedesco del Settecente a Venezia. In: Arte Veneta 45 (1993), S. 78-85, S. 80-82.
  • Krätz, Otto; Merlin, Helga: Casanova, Liebhaber der Wissenschaften. München 1995, S. 57-63.
  • Flohr, Anna-Charlotte: Johann Heinrich Tischbein d.Ä. (1722-1789) als Porträtmaler mit einem kritischen Werkverzeichnis. München 1997, S. 131-134, 266, 285, 241, Kat.Nr. G 213.
  • Wörner-Heil, Ortrud: "Extreme Familiarität und Gleicheit". Freimaurerlogen in Kassel von 1766 bis 1794. In: Wunder, Heide; Vanja, Christina, Wegner; Karl-Hermann [Hrsg.]: Kassel im 18. Jahrhundert. Residenz und Stadt (2000), S. 229-261, S. 241.
  • Sieben Hügel - Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts. Bd. VII: Träumen. Sinne, Spiele, Leidenschaften. Über die subjektive Seite der Vernunft. Berlin 2000.
  • Heraeus, Stefanie [Bearb.]; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: Spätbarock und Klassizismus. Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel [u.a.] 2003, S. 297-298, Kat.Nr. 253.
  • 3x Tischbein und die europäische Malerei um 1800. Kat. Staatliche Museen Kassel, Museum der bildenden Künste Leipzig. München 2005, S. 172, Kat.Nr. 52.
  • Lange, Justus; Gräf, Holger Th.; Rehm, Stefanie: Patrimonia 391, Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Bildnis des Louis Gaucher, Duc de Châtillon, Gemäldegalerie Alte Meister, Museumslandschaft Hessen Kassel. Kassel 2018, S. 80.
  • Sitt, Martina: "Geeignet, junge Künstler zu belehren..." Die Anfänge der Kassler Kunstakademie (1777-1830). Hamburg 2018.
  • Hertel, Christiane: Siting China in Germany. Eighteenth-Century Chinoiserie and Its Modern Legacy. University Park, Pennsylvania 2019.
  • Lange, Justus; Rotter, Malena: Tischbein im Kontext. Ausstattungsprogramme für die Landgrafen von Hessen-Kassel. Kassel 2023, S. 75-79.
  • Weltkunst. Aug. 1987, S. 2058.


Letzte Aktualisierung: 10.03.2023



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