Das Schweisstuch der heiligen Veronika
Das Schweisstuch der heiligen Veronika
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Inventar Nr.:
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1875/Anh. 116a (Dep. 66) |
Bezeichnung:
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Das Schweisstuch der heiligen Veronika |
Künstler:
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unbekannt, Maler/in
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Datierung:
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Ende 18. Jh. |
Geogr. Bezug:
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Deutschland |
Material / Technik:
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Leinwand |
Maße:
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8,5 x 11 cm (Bildmaß)
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Provenienz: | alter Bestand, Erwerbungsdatum unbekannt |
Katalogtext:
Das Schweißtuch der Veronica gehört zu den Themen der christlichen Kunst, die von Meisterwerken von El Greco oder Francisco de Zurbarán bis hin zur wenig anspruchsvollen Massenproduktion von Andachtsbildern für Prozessionen oder als Andenken reicht. Das Sujet des Schweißtuchs (Sudarium) geht zurück auf eine im frühen Mittelalter schriftlich niedergelegte Legende, nach der die junge Veronica dem kreuztragenden Christus ein Tuch zum Trocknen des Schweißes reichte, in das sich auf wundersame Weise das Antlitz des Heilands abdrückte. Seit dem 13. Jahrhundert wurde diese Reliquie in Rom verehrt und verdrängte sukzessive das bis dahin verehrte byzantinische Mandylion, das auf der Abgarlegende beruht. Obwohl beide Darstellungen als Acheiropoieton, das heißt nicht von Menschenhand gemachtes Bild, angesehen wurden, setzte sich im Westen das Veronicabild durch. Dementsprechend verbreitete sich auch die bildliche Darstellung des Schweißtuchs, das als wahres Antlitz Christi (Vera Icon) kultische Verehrung erfuhr, wobei nicht zufällig „Veronica“ und „Vera Icon“ gleichsam ein wortspielerisches Paar bildeten.
Wenngleich aus der Entstehungsgeschichte des Bildes kaum eine große Variationsbreite der Darstellung zu vermuten wäre, zeigen sich doch innerhalb der überlieferten Bilder einige zum Teil erhebliche Unterschiede. Meist ist der Heiland frontal dargestellt. Weitaus seltener sind Darstellungen, die ihn im Dreiviertelprofil zeigen (z. B. Zurbarán). Christus wird, im Unterschied zum Mandylion, stets mit der Dornenkrone gezeigt. Häufig fließen aus den daraus resultierenden Wunden Blutströme. Bisweilen erscheint allerdings das Haupt Christi makellos ohne Wunden, jedoch mit Dornenkrone. Mal ist der Mund geöffnet, mal geschlossen. Ebenso verhält es sich mit den Augen. Das Resultat sind einerseits Darstellungen, die das Leiden Christi betonen, ihn gar als tot zeigen, also das Menschsein des Gottessohnes herausstellen. Andererseits gibt es Bilder, in denen der Heiland nahezu emotionslos als göttliches Antlitz dargestellt ist. Hier wird die Auseinandersetzung mit dem byzantinischen Mandylion deutlich.
Das kleine Kasseler Bild lehnt sich motivisch an einen Kupferstich von Claude Mellan von 1649 an, ohne diesen wörtlich zu kopieren. Leider liegen bislang keine Erkenntnisse über die Herkunft des kleinen Bildes vor. Man darf jedoch annehmen, dass es als privates Andachtsbild fungierte. Es liefert zudem in mehrerlei Hinsicht einen Beitrag zum Thema Imitation. Bislang als Malerei auf Seide angesehen, ergaben aktuelle kunsttechnologische Untersuchungen, dass es sich vielmehr um einen Druck auf Baumwollstoff handelt. Ein gemaltes Bild wird in einem mechanischen Verfahren auf den Stoff gedruckt. Gerade das 19. Jahrhundert entwickelte Drucktechniken, die ein Original täuschend echt imitieren konnten. Damit wird der nach der Legende erfolgte Abdruck des Antlitzes Christi auf ein Tuch mittels modernerer Drucktechnik gleichsam imitierend wiederholt. Geschickt ist das textile Gewebe des Bildträgers in die künstlerische Darstellung integriert.
Seit dem 14. Jahrhundert wurde die Darstellung des Sudariums in einen repräsentativen oder narrativen Kontext eingebunden, indem nun die Heilige das Schweißtuch in den Händen hält und dem Betrachter zeigt. Auf diese Darstellungstradition beruft sich auch Ludwig Emil Grimm, der in seinem 1855 entstandenen Ölgemälde auf die Komposition des Veronikameisters, eines Kölner Meisters um 1400, zurückgreift, das er 1815 in der Sammlung Boisserée in Heidelberg gesehen hatte (heute München, Alte Pinakothek) und das durch einen Umrissstich Verbreitung fand. In seinem Gemälde verlieh Grimm der Heiligen jedoch die Züge seiner 1833 verstorbenen Schwester Lotte Hassenpflug. Die Auseinandersetzung mit der Legende fand allerdings schon früher statt, insbesondere im Zusammenhang mit den Forschungen seines Bruders Wilhelm Grimm, der im Dezember 1842 zwei Vorträge in Berlin über den Ursprung der Christusbilder hielt, die im folgenden Jahr im Druck erschienen. Ludwig Emil Grimm hatte dafür ein Christusbild kopiert, das der Publikation als Frontispiz beigegeben wurde. Das Bild taucht bereits in einer 1829 entstandenen Interieurzeichnung des Künstlers auf. Demnach scheint das Thema des Veronica-Bildes im Kreis der Brüder Grimm eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt zu haben. Die Frage, ob auch das kleine gedruckte Bild des Schweißtuchs in diesen Kontext gehört, bedarf noch weiterer Forschung.
(J. Lange, 2015)
Literatur:
- Lange, Justus; Carrasco, Julia: Kunst und Illusion. Das Spiel mit dem Betrachter. Petersberg 2016, S. 72, 74, Abbildung S. 73, Kat.Nr. 20.
Letzte Aktualisierung: 05.08.2021